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29. November 2022

Erbschaftsteuer: Geänderte Immobilienbewertung ab 2023

Beratertipp der Steuerkanzlei WW+KN: Noch in 2022 Immobilien schenken oder besser warten?

 

Zum Jahreswechsel 2022/23 sind derzeit mit dem „Jahressteuergesetz 2022“ Änderungen im Bereich der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Bewertung von Immobilien geplant. In den Medien wird aktuell dazu berichtet, dass „drastische Erhöhungen bei Immobilienübertragungen“ drohen würden und dass man „jetzt noch schnell das Haus verschenken“ solle. Dies ist Anlass für uns, Ihnen hierzu einen kurzen sachlichen Überblick zu geben sowie mögliche Handlungsoptionen für Sie und Ihre Familie aufzuzeigen:

 

1. Gesetzgebungsstand zum „Jahressteuergesetz 2022“

Das „Jahressteuergesetz 2022“ befindet sich derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren und soll voraussichtlich erst kurz vor Weihnachten final verabschiedet werden.

Das Gesetzespaket enthält Änderungen zu diversen Steuerregelungen, wie beispielsweise auch zur künftigen Besteuerung von Photovoltaikanlagen oder zur Erhöhung des Sparerpauschbetrags.

Ein Teil des Gesetzespakets befasst sich mit der Angleichung der steuerlichen Bewertungsregelungen für Immobilien an die „Immobilienwertermittlungsverordnung“ (ImmoWertV) vom 14. Juli 2021 (BGBl. I S. 2805), was Auswirkungen auf die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer hat.

Die Änderungen sollen jeweils zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.

 

2. Änderungen im Bereich der erbschaftsteuerlichen Bewertung von Immobilien

2.1. Gegenwärtige Rechtslage

In der Vergangenheit wurden Immobilien für erbschaftsteuerliche Zwecke mit den sogenannten „Einheitswerten“ bewertet, die deutlich unter den tatsächlichen Verkehrswerten lagen, während Geldvermögen mit dem Nominalwert der Erbschaftsteuer unterworfen wurden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Ungleichbehandlung für rechtswidrig und legte dem Gesetzgeber die Schaffung einer Neuregelung mit dem Ziel auf, dass Immobilien für erbschaftsteuerliche Zwecke mit dem „gemeinen Wert“ (Verkehrswert) zu bewerten sind.

Seit der „Erbschaftsteuerreform 2009“ werden Immobilien, abhängig von ihrer Art und Nutzung, für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke nach einem von drei Verfahren bewertet:

  • Vergleichswertverfahren: Bei Eigentumswohnungen, Teileigentum oder Ein- und
    Zweifamilienhäuser kommt vorrangig das Vergleichswertverfahren zur Anwendung, wenn entsprechende Vergleichswerte vorliegen. Der Wert wird dabei aus zeitnahen Verkaufspreisen für Immobilien mit ähnlicher Lage, ähnlichem Baujahr, ähnlicher Wohnfläche usw. abgeleitet. Die Datenerhebung erfolgt über die jeweiligen Gutachterausschüsse. Soweit keine Vergleichswerte oder Vergleichswertfaktoren vorhanden sind, – das ist vor allem in ländlichen Regionen der Fall – kommt das Sachwertverfahren zum Tragen.
  • Ertragswertverfahren: Bei Mietwohngrundstücken, Geschäftsgrundstücken oder
    gemischt genutzten Immobilien kommt das Ertragswertverfahren zur Anwendung. Der
    Ertragswert ist die Summe aus Bodenwert und Gebäudeertragswert. Der Bodenwert wird nach der Fläche des Grundstücks, multipliziert mit dem vom Gutachterausschuss veröffentlichten Bodenrichtwert, ermittelt. Der Gebäudeertragswert wird mit den Nettokaltmieten, abzüglich der Bewirtschaftungskosten und der Bodenwertverzinsung, ermittelt.
  • Sachwertverfahren: Das Sachwertverfahren wird angewendet, wenn weder Vergleichs- noch Ertragswertverfahren angewendet werden können. Die Ermittlung erfolgt durch Addition von Bodenwert (Fläche x Bodenrichtwert) und Gebäudesachwert. Der Gebäudesachwert ermittelt sich aus der Bruttogrundfläche multipliziert mit den Normalherstellungskosten abzüglich der Alterswertminderung. Die Normalherstellungskosten orientieren sich an verschiedenen Baustandardstufen (einfach, gehoben etc.). Der ermittelte Wert wird sodann mit einem Sachwertfaktor multipliziert, der sich aus dem Bewertungsgesetz oder einer Verlautbarung des Gutachterausschusses ergibt.

Sofern die steuerlichen Pauschalverfahren zu einer Überbewertung führen, besteht die Möglichkeit, das Wertgutachten eines Sachverständigen als Nachweis eines tatsächlich niedrigeren Verkehrswerts vorzulegen. An das Gutachten werden hohe Anforderungen gestellt und es muss von einem Sachverständigen erstellt werden, der von einer öffentlichen Stelle bestellt oder zertifiziert worden ist. Auch Sachverständigengutachten werden vom Finanzamt regelmäßig kritisch überprüft. Erfahrungsgemäß lohnt sich der finanzielle Aufwand für ein Sachverständigengutachten aber nur in einer sehr überschaubaren Anzahl von Fällen, da die Pauschalverfahren weit überwiegend zu günstigeren Wertansätzen führen.

2.2. Geplante Veränderungen ab dem 1. Januar 2023

Die geplanten Änderungen betreffen ausschließlich das Ertragswert- und Sachwertverfahren. Für das Vergleichswertverfahren ergeben sich keine Änderungen, da hier jeweils auf aktuelle Verkaufspreise von Immobilien als Bewertungsmaßstab zurückgegriffen wird.

Beim Ertragswert- und Sachwertverfahren werden die Wertermittlungen künftig komplexer ausgestaltet und zudem wird weniger auf bundesweite, gesetzlich definierte Wertzahlen zurückgegriffen, sondern in Zukunft werden Wertzahlen verwendet, die von den regionalen Gutachterausschüssen anhand der Marktlage regelmäßig ermittelt werden. Insbesondere die Liegenschaftszinssätze (§ 188 Abs. 2 Satz 2 BewG) sowie die Wertzahlen für das Sachwertverfahren (§ 191 Satz 2 BewG) sollen an das gegenwärtige Preisniveau angepasst werden.

2.3. Welche Auswirkungen werden sich durch die Veränderungen ergeben?

In den Medien wird über „drastische Steuererhöhungen“ infolge der Veränderungen des Bewertungsgesetzes spekuliert. Dabei werden teils Grenzfälle skizziert, in denen sich die Werte um 20-30 % oder teils sogar um 200 % erhöhen. Tatsächlich wird die Auswirkung der Gesetzesänderung aber von der Lage und Art der Immobilie abhängen:

  • Für das Vergleichswertverfahren ergeben sich keine Änderungen. Eigentumswohnungen, Teileigentum sowie Ein- und Zweifamilienhäuser in Städten oder Einzugsbereichen von Städten werden in der Regel nach diesem Verfahren bewertet und hier ergeben sich keine Änderungen.
  • Für das Sachwertverfahren werden sich Änderungen durch die veränderten Wertzahlen ergeben. Die Auswirkungen werden aber sehr unterschiedlich ausfallen.

Im Landkreis Regensburg hat der Gutachterausschuss beispielsweise schon vor einiger Zeit Sachwertfaktoren veröffentlicht, die primär zur Anwendung kommen, und die jetzt beschlossenen Gesetzesänderungen werden wohl keine oder kaum noch Erhöhungen mit sich bringen.

In anderen Regionen werden die veränderten Wertzahlen aber zu Erhöhungen gegenüber der aktuellen Rechtslage führen, insbesondere wenn die Preissteigerungen der letzten Jahre in der Region stark von der bundesweiten Preissteigerung nach oben abweichen.

  • Für das Ertragswertverfahren werden sich ebenfalls Änderungen ergeben, wobei auch hier verschiedene Faktoren eine Rolle spielen werden, wie hoch die Veränderungen letztendlich ausfallen. Dies hängt im Wesentlichen von der Größe des Grundstücks, der Höhe der Mieteinnahmen sowie der Lage der Immobilie ab.

Über die genauen Auswirkungen je Immobilie lassen sich derzeit größtenteils nur Spekulationen anstellen, da nur teilweise auf gesetzliche Werte zurückgegriffen werden kann und die Wertzahlen durch die Gutachterausschüsse in der Regel erst im ersten Halbjahr 2023 veröffentlicht werden sowie dann rückwirkend zum 1. Januar 2023 zum Tragen kommen.

In jedem Fall besteht aber weiterhin die Möglichkeit, im Rahmen einer Überbewertung durch eines der pauschalen Verfahren ein Sachverständigengutachten als Nachweis für einen tatsächlich niedrigeren Verkehrswert vorzulegen.

 

3. Warum wird die Gesetzesänderung in den Medien so stark thematisiert?

Die Änderung des Bewertungsgesetzes wurde sehr überraschend und „lautlos“ in das „Jahres-steuergesetz 2022“ aufgenommen. Erst um den 10. November 2022 wurde erstmals über die Auswirkungen der Veränderungen öffentlich diskutiert und am 21. November 2022 äußerte sich das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dazu, dass die Änderungen ausdrücklich „keine Steuererhöhung“ darstellen, sondern als Anpassung an die Marktlage vorgenommen werden sollen.

Final wird das Gesetzgebungsverfahren erst kurz vor Weihnachten abgeschlossen sein. Bis dahin sind noch Änderungen möglich.

Tatsächlich hatte der Gesetzgeber mit den geplanten Änderungen wohl nicht mit einem solchen Sturm der Entrüstung gerechnet:

  • Bundesfinanzminister Christian Lindner hat daher am 24. November 2022 die Erhöhung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Freibeträge, die seit dem Jahr 2009 unverändert sind, entsprechend der Inflation angeregt. Eine solche Anhebung der Freibeträge würde in vielen Fällen die angepassten Regeln für Immobilienbewertungen kompensieren.
  • Der bayerische Finanzminister Albert Füracker und der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger haben jeweils auf die Besonderheiten in Bayern hingewiesen und eine Regionalisierung der Erbschaftsteuer gefordert, die eine ausschließliche Ländersteuer ist.

Gerade vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass es im Gesetzgebungsverfahren noch zu Änderungen kommen wird. Wie ausgeführt, wird das Gesetzgebungsverfahren erst kurz vor Weihnachten abgeschlossen sein. Nach unserer Einschätzung ist in jedem Fall eine Anhebung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Freibeträge erforderlich und zu begrüßen, nachdem diese seit dem Jahr 2009 unverändert sind.

 

4. Soll ich jetzt noch schnell mein Haus an die Kinder übergeben?

Ob man jetzt noch schnell seine Immobilie an die Kinder übertragen sollte, hängt von vielen Faktoren ab:

  • Jeder Elternteil hat zu jedem Kind einen Freibetrag von EUR 400.000,00. Das heißt ein Elternpaar hat zusammen Freibeträge in Höhe von EUR 800.000,00 pro Kind. Diese Freibeträge können alle zehn Jahre neu genutzt werden.

Beginnt man mit Übertragungen auf Kinder mit Anfang 60, können die Freibeträge bis zum Erreichen eines Lebensalters von Anfang 80 dreimal genutzt werden (es reicht, wenn der Zehn-Jahres-Zeitraum um einen Tag überschritten ist). Bei einem Elternpaar würde so ein Übertragungspotential von EUR 2,4 Mio. (= 3 x Zehn-Jahres-Zeitraum á EUR 400.000,00 x 2 Elternteile) zur Verfügung stehen. Zudem lässt sich der Wert von Immobilien durch einen Nießbrauchsvorbehalt beispielsweise senken, womit zusätzliches Übertragungspotential besteht.

Reichen die Freibeträge für die Übertragung Ihrer Immobilie ganz offensichtlich aus, so besteht derzeit eher kein akuter Handlungsdruck. Auch ist fraglich, ob eine schnelle Übertragung jetzt Sinn macht, wenn Vorschenkungen an die Kinder in den letzten zehn Jahren vorliegen, die mit der aktuellen Schenkung für die Erbschaftsteuer zu addieren wären.

  • Weiterhin muss bedacht werden, dass sich der Übergeber durch einen Nießbrauch absichern kann und weiter das Nutzungsrecht an der Immobilie hat, aber diese dann nicht mehr ohne Zustimmung des Beschenkten verkaufen

Dabei ist wichtig zu wissen, dass im Verkaufsfall der Schenker nur sein Nießbrauchsrecht vergütet bekommt, das in der Regel grob der abgezinsten, fiktiven Miete für seine Lebenszeit entspricht, während aber der deutlich höhere Substanzwert dem Beschenkten zufließt. Mit steigendem Lebensalter wird auch der Wert des Nießbrauchsrechts immer niedriger.

Gerade im Hinblick auf die Tilgung möglicher Pflegekosten oder den Umzug aus einem Haus in eine Wohnung im Alter kann es Sinn machen, das Eigenheim oder eine Immobilie zurückzubehalten, um diese als „Reserve“ noch verkaufen zu können.

  • Trotz Absicherung mit einem Nießbrauchsrecht, kann es bei einer Übergabe weitere
    Risiken
    Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, bei einer Übergabe stets die Vereinbarung von Widerrufsvorbehalten zugunsten des Übergebers. Widerrufsvorbehalte sind u.a. für den Fall der Scheidung des Beschenkten und der Leistung eines Zugewinnausgleichs sinnvoll oder für den etwaigen Tod des Beschenkten vor dem Schenker oder falls der Beschenkte geschäftsunfähig werden sollte oder über dessen Vermögen ein
    Insolvenzverfahren eröffnet wird.
  • Auch kann es heute sinnvoll sein, Übergaben direkt an die Enkel durchzuführen, um Vermögenskumulierungen zu vermeiden. Großeltern haben zu jedem Enkelkind einen Freibetrag von EUR 200.000,00. Die Großeltern können sich bei Immobilien dann einen Nießbrauch vorbehalten, der an die Kinder weitergeht, während die Enkel nur die Substanz besitzen.
  • Haben Sie ein größeres Immobilienvermögen und wollen ohnehin zeitnah Vermögen auf die Kinder übertragen, kann eine vorzeitige Übergabe noch im Jahr 2022 Sinn machen. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn Sie mit Ihren Kindern im Einvernehmen leben und Ihre eigene Versorgung im Alter gesichert ist.

Leider hängt die Entscheidung, ob eine Übertragung von Immobilien noch in diesem Jahr erfolgen soll, von den Umständen des Einzelfalls ab. Liegen Vorschenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor, die für die Berechnung der Erbschaftsteuer einzubeziehen sind, kann ein
Aufschub der nächsten Schenkung bis zum Ablauf des Zehn-Jahres-Zeitraums sinnvoll sein. Soll eine Schenkung zeitnah erfolgen und stehen noch Freibeträge zur Verfügung oder es ist ein großes Immobilienvermögen vorhanden, kann eine Übertragung noch in diesem Jahr Sinn machen.

 

5. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Rahmenbedingungen / Vorsorge

Gerne beraten wir Sie als WW+KN rund um die Bereiche „Erbschaft & Schenkung“ und möchten Ihnen einige Rahmenbedingungen aufzeigen:

  • Testament: Nicht immer braucht es ein notarielles Testament. In vielen Fällen reicht auch ein handgeschriebenes Testament. Ohne Testament tritt aber die gesetzliche Erbfolge ein, die häufig von Ehepaaren mit Kindern nicht gewollt ist und zur Bildung von Erbengemeinschaften oder Zersplitterungen führt. Auch ein vor Jahrzehnten abgefasstes „Berliner Testament“, das den länger lebenden Ehegatten als Alleinerben vorsieht, kann mit fortschreitendem Lebensalter erbschaftsteuerlich ungünstig sein. Es ist daher anzuraten, dass man sich in regelmäßigen Abständen mit seiner Nachlassregelung beschäftigt und überprüft, ob diese noch mit den gegenwärtigen Umständen übereinstimmt.
  • Vorsorgevollmacht: Vorsorgevollmachten können notariell oder privatschriftlich abgefasst werden. Insbesondere Immobilienbesitzern oder Nießbrauchsberechtigten ist dringend eine notarielle Vorsorgevollmacht anzuraten, da nur mit dieser über Grundbesitz verfügt werden kann.
  • Patientenverfügung: Eine Patientenverfügung enthält Regelungen dazu, wie man medizinisch behandelt werden möchte, wenn man dies selbst nicht mehr entscheiden kann. Auch eine privatschriftliche Patientenverfügung ist wirksam, wobei eine notarielle Patientenverfügung möglicherweise eine höhere Sicherheit im Hinblick auf einwandfreie Formulierungen bringt.

Wert des steuerpflichtigen Erwerbs bis einschließlich

Vomhundertsatz in der Steuerklasse

Euro

I

II III

75.000

7

15 30

300.000

11

20 30

600.000

15 25

30

6.000.000

19

30

30

13.000.000

23 35

50

  • Zehn-Jahres-Zeiträume nutzen: Je höher der Nachlass oder die Schenkung, desto höher die Erbschaft- oder Schenkungsteuer. Durch die Nutzung von Zehn-Jahres-Zeiträumen können Freibeträge und Steuerprogression mehrfach genutzt und in vielen Fällen hohe Steuerersparnisse erzielt werden.
  • Nach dem Erbfall: Ehe man sich gegenüber dem Nachlassgericht zu einem Erbfall
    äußert, kann es Sinn machen, sich vorher steuerlich beraten zu lassen. So kann in manchen Fällen die Erbausschlagung und damit die „Weitergabe“ an den nächsten Erbberechtigten oder die (einvernehmliche) Geltendmachung eines Pflichtteils steuerlich Sinn machen.

 

Bei Fragen zu den Bereichen „Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer“ können Sie uns gerne per E-Mail an regensburg@wwkn.de oder muenchen@wwkn.de bzw. telefonisch an den jeweiligen Standorten gerne kontaktieren.