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6. Dezember 2022

EuGH–Urteil bestätigt deutsche Regelung zur Organschaft, lässt aber wichtige Fragen offen

Mit großer Spannung wurden die beiden Urteile vom 1. Dezember 2022 erwartet, stand doch das Schicksal der deutschen Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft auf dem Spiel. Vielfach wurde befürchtet, dass Umsatzsteuerbeträge den Organträgern wieder zu erstatten seien und dann ggf. von einer Mehrwertsteuergruppe oder den Organgesellschaften zurückzuzahlen wären. Vielfach wurde schon von einem Problem „Bauträger 2.0“ gesprochen, das ebenfalls zu erheblichem Verwaltungsmehraufwand führte. Auch wenn dies nun glücklicherweise nicht eingetreten ist, sollten die Urteile alle Unternehmen mit steuerfreien Ausgangsumsätzen und ohne vollen Vorsteuerabzug mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. Namentlich im Bereich der Pflege- und Heilberufe, Immobiliengesellschaften und den Finanzdienstleistern droht nunmehr trotz einer sorgsam aufgesetzten umsatzsteuerrechtlichen Organschaft der Kostenschock für die Zukunft.

Der EuGH hat am 1. Dezember 2022 mit den Urteilen Rs. C-141/20 und C-269/20 die deutsche Regelung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bestätigt, wonach der Organträger nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Steuerschuldner ist.

Eine umsatzsteuerliche Organschaft bewirkt, dass der Organträger und die Organgesellschaften zu einem Unternehmer zusammengefasst werden, auch wenn die verbundenen Gesellschaften im Übrigen rechtlich selbständig bleiben. Gemäß der deutschen Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird die umsatzsteuerliche Organschaft allein durch ihren Organträger gegenüber den Finanzbehörden vertreten. Durch die Anerkennung der deutschen Regelung sind die bisherigen Steuerfestsetzungen gegenüber dem Organträger als Steuerschuldner rechtmäßig und es besteht kein Anspruch auf Erstattung der von ihm entrichteten Umsatzsteuern.

Obwohl die Generalanwältin in den beiden Vorlageverfahren des BFH einen Verstoß der deutschen Regelung gegen das EU-Recht gesehen hat, erkannte der EuGH die deutsche Regelung als EU-konform an, da die Organgesellschaften über § 73 AO für ihre Umsatzsteuerschulden haften und der Organträger aufgrund der erforderlichen Eingliederung nach deutschem Recht seinen Willen in den Organgesellschaften durchsetzen kann.

Dennoch sind die Voraussetzungen für die Annahme einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft reformbedürftig. Das von deutscher Seite geforderte Über- und Unterordnungsverhältnis erscheint dem EuGH als zu eng und nicht mit dem EU-Recht konform. Weiterhin stellt der EuGH fest, dass es für die finanzielle Eingliederung allein auf eine Mehrheitsbeteiligung ankommt. Nicht erforderlich ist hingegen auch eine Stimmmehrheit des Organträgers. Außerdem kritisierte der EuGH, dass jede Organgesellschaft neben dem Organträger eine Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke haben kann. Nach Auffassung des EuGH kann der Organkreis nur eine Steuernummer haben.

In einem weiteren Punkt ist aber noch nicht abschließend abzusehen, welche erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen die Entscheidungen des EuGH auf das deutsche Recht haben können. Hierbei geht es um die Frage, ob die Umsätze innerhalb des Organkreises auch weiterhin nicht steuerbar sind, also ohne Umsatzsteuer abzurechnen sind. Konkret fragte der BFH beim EuGH an, ob es dem nationalen Gesetzgeber gestattet sei, eine rechtliche Person (z.B. eine Gesellschaft) im Wege einer Typisierung als nicht selbständig tätig anzusehen, wenn diese finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in die Organträgerin eingegliedert ist. Der EuGH verneint dies in seinem Urteil (C-141/20).

Hier bleibt nun insbesondere abzuwarten, welche Reichweite der BFH dieser Antwort beimessen wird. Die Auswirkungen könnten sich einerseits darauf beschränken, wie die drei Voraussetzungen für eine Organschaft zu prüfen sind. Sie könnten sich andererseits aber auch auf die umsatzsteuerliche Einordnung der Innenumsätze zwischen den Organgesellschaften untereinander sowie mit dem Organträger erstrecken. Folge einer trotz Eingliederung in eine Organschaft als weiterhin selbständig – also unternehmerisch – handelnd einzustufenden Organgesellschaft könnte aber möglicherweise sein, dass diese innerhalb der Organschaft umsatzsteuerbare Leistungen erbringt bzw. empfängt. Somit wären aus Sicht des EuGH auch entgeltliche Leistungen zwischen Organträger und Organgesellschaft möglich. Eine dahingehende positive oder negative Aussage des EuGH fehlt.

Den Folgeentscheidungen des BFH kommt daher erhebliche Bedeutung zu. Sollte der BFH die Besteuerung von Innenleistungen vorsehen, wäre die Frage, inwieweit die umsatzsteuerliche Organschaft noch wirtschaftlich sinnvoll ist, zukünftig grundlegend neu zu bewerten. Gerade in den Wirtschaftsbereichen, die teilweise umsatzsteuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug erbringen, kann die Entscheidung zu einer Kostenfalle werden. Zwar scheitert eine rückwirkende Anwendung der Urteile am klaren Wortlaut der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sowie § 176 AO, welcher Vertrauensschutz bietet, jedoch kann mit Blick in die Zukunft die umsatzsteuerrechtliche Organschaft ihren Reiz verlieren.