Pflichtteil geschickt einsetzen
Beratertipp der Kanzlei Baker Tilly: Pflichtteilsanspruch als Steueroptimierungsinstrument
„Der erbrechtliche Pflichtteilsanspruch wird oftmals negativ betrachtet, wobei er in einigen Fällen erbschaftsteuerlich aktiv zur Steueroptimierung genutzt werden kann“, sagt Diplom-Finanzwirt Matthias Winkler, Steuerberater und Partner im Regensburger Büro der Steuerberatungsgesellschaft Baker Tilly. Der erbrechtliche Pflichtteil ist ein gesetzlich verankerter Anspruch in § 2303 BGB, der bestimmten Personen zusteht, wenn sie in einem Testament oder Erbvertrag nicht bedacht wurden. Das bedeutet, dass der Erblasser zwar frei entscheiden kann, wem er sein Vermögen vermachen möchte, aber bestimmte Personen dennoch Anspruch auf einen Teil des Erbes haben.
In der Regel entspricht der Pflichtteil der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, den der Berechtigte ohne Verfügung des Erblassers erhalten hätte. Dabei werden sämtliche Vermögenswerte des Erblassers, einschließlich Schenkungen und Übertragungen auf Dritte in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod berücksichtigt. „Pflichtteilsberechtigt sind vor allem die Kinder des Erblassers sowie der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner. Doch auch die Eltern können unter bestimmten Umständen einen Pflichtteilsanspruch geltend machen“, erklärt Winkler. Dabei ist zu beachten, dass der Pflichtteilsanspruch nicht automatisch entsteht, sondern aktiv geltend gemacht werden muss und hierbei Fristen einzuhalten sind. Laut Winkler dient der erbrechtliche Pflichtteil dazu, eine angemessene Versorgung der nahestehenden Personen des Erblassers sicherzustellen und sie vor einer vollständigen Enterbung zu schützen.
Insbesondere bei einem „Berliner Testament“, in dem sich die Ehegatten gegenseitig als Erben einsetzen, kann nach dem Tod des Erstversterbenden der Pflichtteil genutzt werden, um die erbschaftsteuerlichen Freibeträge des Verstorbenen optimierter einzusetzen. Während jeder Elternteil zu jedem Kind einen Freibetrag von 400.000 Euro nutzen kann, steht einem überlebenden Elternteil nur ein isolierter Freibetrag von 400.000 Euro zu. Bei einer Ehegattenerbeinsetzung im Rahmen eines „Berliner Testaments“ geht der Kinderfreibetrag des erstversterbenden Elternteils verloren. „Das Kind kann nun seinen Pflichtteil gegen den Nachlass des zuerst verstorbenen Elternteils geltend machen, wodurch der Freibetrag oder zumindest ein Teil davon gesichert werden kann“, erläutert Winkler. Demzufolge kann die Pflichtteilsgeltendmachung auch einvernehmlich mit dem überlebenden Elternteil erfolgen, wobei die Erfüllung des Pflichtteils durch das Kind bis zu dessen Ableben gestundet werden kann.
In einem Beispiel wird angenommen, dass die Eltern mit einem Eigenheim und Barvermögen ein Vermögen von 1,5 Millionen Euro besitzen, das beiden zu gleichen Teilen gehört. Die Eltern haben sich im Rahmen eines „Berliner Testaments“ gegenseitig als Erben eingesetzt. Beim Ableben des ersten Elternteils würde der überlebende Ehegatte 750.000 Euro erben; davon wären das Eigenheim, ein Ehegattenfreibetrag von 500.000 Euro sowie ein Versorgungsfreibetrag von 256.000 Euro steuerfrei, sodass keine Erbschaftsteuer anfallen würde. Der überlebende Ehegatte vererbt dann den Nachlass von 1,5 Millionen Euro an das Kind, das nach Abzug eines Kinderfreibetrags von 400.000 Euro insgesamt 1,1 Millionen Euro zu versteuern hat. Die Erbschaftsteuer darauf wird mit 19 Prozent erhoben und beträgt somit 209.000 Euro.
„Alternativ könnte das Kind den Pflichtteil aus dem Nachlass des erstverstorbenen Elternteils geltend machen. Der Pflichtteil entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbanteils von 50 Prozent, was also gesamt ein Viertel ausmacht“, geht Winkler auf das Beispiel ein. Der Pflichtteil würde somit ein Viertel von 750.000 Euro, also 187.500 Euro betragen. Diesen Betrag stundet das Kind dem überlebenden Elternteil bis zu dessen Ableben. Der Nachlass zwischen den Ehegatten ist dann wiederum steuerfrei. Der Nachlass vom überlebenden Ehegatten an das Kind beträgt somit nur noch 1,31 Millionen Euro, und nach Abzug des Freibetrags von 400.000 Euro sind etwa 910.000 Euro zu versteuern. Die Steuer beträgt wiederum 19 Prozent beziehungsweise 172.900 Euro. Im Vergleich zum Grundfall ohne Geltendmachung des Pflichtteils kann die Erbschaftsteuer im Beispielsfall um etwa 36.000 Euro reduziert werden.
(Quelle: Baker Tilly Steuerberatungsgesellschaft, Regensburg, www.bakertilly.de, regensburg@bakertilly.de)